Ä T H I O P I E N
Dort! Weit voraus eine wie mit dem Lineal gezogene Linie am Himmel, die endlich Sonne verspricht. Hinter uns eine schwarzblaue ins Violett gehende Wand, die wieder und wieder von bizarren, grell gleissenden Blitzen durchzuckt wird, die sich mit Urgewalt entladen. Krachender Donner rollt in weiter Ferne verhallend über die Steppe. Seit Tagen haben wir uns durch Schlamm und Nässe gequält und sind unserem Ziel nur unter größten Anstrengungen nähergekommen.
Normalerweise sollte es in dieser Jahres-zeit längst trocken sein. Die Straßen im Norden Tanzanias und Kenias sind un-passierbar geworden, Brücken existieren nicht mehr. So bleibt dann nur das Teer-band über Arusha nach Nairobi. Schon hier will man wissen, dass die Strecke Isiolo, wo der Asphalt endet und Afrika beginnt, nach Marsabith seit mehr als drei Wochen nicht befahrbar ist. Es kommt niemand durch! Lange brüten wir über den Landkarten und entscheiden, es über Maralal und hinauf zum Turka-na‑See zu versuchen. Von dort könnte man durch die Chalbi‑Wüste hinüber nach Marsabith.
Gesagt, getan! Nur ein "kleines" Risiko birgt dieser Plan. Überall redet man vom "Rift Valley Fever", das bei North Horr Tote gefordert haben soll. ‑ Und niemand weiss, durch was es ausgelöst wurde. Wir sind beunruhigt und befragen alle möglichen Stellen. Einheimische Farmer, Missionsstationen und die Fliegenden Doktoren beruhigen uns jedoch schnell. Egal, was die Presse da schreibt, es ist eindeutig Malaria
Bedingt durch die viel zulange anhal-tenden Regenfälle und dem hohen Gras, können sich die Anopheles‑Mücken her-vorragend vermehren. Da die Ortschaf-ten abgeschnitten sind/waren, kann nicht geholfen werden. Schnell ist diese Sorge vergessen, denn die Strecke verlangt alle Aufmerksamkeit. Zwar trocknet die Piste nun sehr schnell ab, doch sorgen metertiefe von LKW gezogene Spur-rinnen und davon zurück gebliebene Schlammlöcher für stetige Abwechslung. Die Bäche führen noch Hochwasser und so manche Durchfahrt bleibt ein Risiko, im weichen Grund festzustecken. Alle Spuren durch die Chalbi sind verwischt. Wir sind die Ersten nach dem Regen und in fast jeder Ansiedlung werden wir gefragt, ob wir unterwegs Lastwagen gesehen hätten. Die Hoffnung eben, endlich nach vielen Wochen der Abgeschnittenheit wieder mit den be-gehrten Gütern versorgt zu werden. Zucker und Salz waren schon nahezu unbezahlbar geworden.
In Marsabith angekommen, erfahren wir, dass gerade heute morgen der erste Konvoi nach Moyale aufgebrochen ist, nachdem es ein Fahrzeug von Norden her geschafft hat. Der Weg ist passierbar geworden! Wir besuchen noch den Marsabith-Nationalpark und nachdem wir uns an Giraffe, Zebra, Antilope und Elefant satt gesehen haben, machen wir uns auf den Weg.
Fast siebzig unendlich lange Kilometer sind es noch und gegen Abend, gerade im allerschönsten Licht, bricht die Sonne plötzlich hervor. Kaum zu beschreiben ist die in diesem Augenblick emporsteigen-de Freude, das Hochgefühl, das den Körper durchströmt. Von einem auf den anderen Moment sind Strapazen und Mühen vergessen. Im satten Grün steht die Natur und Blüten in allen Farben leuchten hervor. Wir halten an, lassen uns von den Sonnenstrahlen umschmei-cheln, genießen die Wärme nach all der Nässe in den vergangenen Tagen.
Endlich können die klammen Kleider, Zelte und Schlafsäcke getrocknet wer-den. Für heute ist Schluss mit der Fahrerei und schon morgen wird uns Äthiopien begrüßen. Sollte es wirklich stimmen?
“Ethiopia ‑ 13 month's of sunshine"
Ja, Äthiopien hat wirklich 13 Monate! Es sind nach dem Julianischen Kalender 12 a 30 und der 13. mit 6 Tagen. Außerdem schreiben wir nicht den 27. Januar 2000, sondern den 20. Mai 1992. Hier wird anders gerechnet, was mit der unter-schiedlichen Bestimmung von Christi Geburt zusammenhängt.
Die Grenzabfertigung ist Minutensache und eher beiläufig fragt uns der Zöllner: “Was wollt ihr dort drüben? Das ist doch kein Land!” Der Schlagbaum geht hoch und ein winziges rostiges Schild weist darauf hin, dass ab jetzt rechts gefahren wird. Auf der anderen Seite sind die Grenzbüros bereits geschlossen und so suchen wir uns ein kleines Hotel. Aus den Cafes dringt aufpeitschende Musik und auf der Straße flanieren die Men-schen rauf und runter.
Wegen der zahlreichen Moskitos schla-gen wir die Zelte im Hof auf. Außerdem hätte es nur Kopfschmerzen gegeben, wenn wir in den Zimmern geschlafen hät-ten. Sie sind blitzsauber, aber beißender Geruch liegt in der Luft. Es ist hier Sitte die Räume mit Diesel auszuwaschen, was das Ungeziefer fern hält. Der Duft von frisch gerösteten Kaffee lockt uns in eines der Restaurants, von wo aus wir ziemlich unbelästigt das Treiben auf der Straße beobachten können.
Am nächsten Morgen erledigen wir die Einreiseformalitäten und steuern unser erstes Ziel - Konso - an. Schon nach wenigen km auf der neuen Teerstraße –ja, nach all den vielen km Schlamm und Dreck eine richtige Teerstraße - sind große Dornensträucher quer über die Fahrbahn gezogen und versperren die Weiterfahrt. Wir befinden uns genau auf der anderen Seite der Berge, denen wir schon in Kenia entlang gefahren sind und in denen sich Räuberbanden ver-stecken sollen. Etwas mulmig im Bauch nähern wir uns der Barriere. Der Bei-fahrer springt raus, zieht die Dornen auseinander und mit Vollgas rauschen wir davon. In Mega fragt uns die Polizei aus und weiß von Vorfällen in der letzten Zeit zu berichten.
Durch eine blühende Savannenland-schaft erreichen wir Yabelo, wo der Asphalt wieder endet. Wir können einen abgerissennen Auspufftopf schweißen und versorgen uns auf dem reichlich sortierten Markt mit Gemüse und Brot, denn vor Konso wird es nichts mehr geben.
Gleich nach der Stadt windet sich die neu gebaute und gerade freigegebene Piste in die Berge. In der Höhe säumen Nadelwälder die Strecke und wieder im Tal zeigen tief in den schwarzen Boden eingegrabene Spuren, dass es höchste Zeit für eine Straße wurde. In den Lö-chern steht noch immer das Wasser und ohne den neuen Damm gäbe es hier kein Durchkommen. In Brindale endet die Straße abrupt und staubige Spuren winden sich durch die Dornbüsche. Dann enden diese in einem Flußbett, in dem kopfgroßes Geröll liegt und das zu einem Rinnsal verkümmert ist. Fast elf km schaukeln wir in halsbrecherischer Fahrt im 1.Gang und kleiner Untersetzung über das Gestein. Eine zerfallene Rampe muß ausgebessert werden und dann sind wir wieder auf der Piste, die sich in engen Kehren den fast 2000 m hohen Berg hinauf windet. In der einzigen Bar im Ort bekommen wir einen Kaffee und in der Tankstelle Treibstoff aus Fässern. Mittels eines Schlauches saugt der Tankwart den Diesel an und leitet ihn in unseren Tank. Wir erkundigen uns nach dem Weg nach Omorate und erfahren, dass wir wegen der durch einen Erdrutsch weggerissenen Straße über Key Afer nach Turmi müssen.
Immer höher windet sich die Straße hinauf. Die Bauern der Konso haben an die steilen Hänge im Terassenbau abertausende winziger Felder angelegt und sind allerorts fleißig bei deren Bewirtschaftung. Die Dörfer kleben an den Hängen und im Sonnenlicht leuchten die spitzen Strohkegel der Dächer. Auf den Spitzen sind Kaffeetöpfe oder Straußeneier angebracht, die Glück verheißen sollen.
Schnell geht die Landschaft in eine Hochebene über und kurz vor Weyto führt eine kleine Stahlbrücke über den reißenden Fluß. Der Posten bestätigt die kaputte Straße und zeigt uns den Weg nach Key Afer. Das Tal blüht. Wie mit einem Lineal gezogen trennt die Straße die Grasflächen. Links eine endlose weiße Fläche und rechts das Gleiche in einem Violett, das an die Lüneburger Heide erinnert. Feuerrote Steppenlilien leuchten aus saftigem Gras und bunte Vögel schillern hervor – allen voran die Rote Bischofsmütze. An großen Pfützen stehen erstarrt weiße Reiher auf Beute lauernd. Gleich daneben keilen sich zwei Hammerköpfe um einen Frosch und Kormorane breiten ihre Flügel zum Trocknen in der Sonne aus.
Wieder geht es auf über 2000 m hinauf. Schon weit vor Key Afer ziehen in langen Reihen schwer beladene Menschen in diese Richtung. Es ist Markttag, der zu einem besonderen Erlebnis wird. Zahl-reich haben sich die umliegenden Volks-gruppen eingefunden, die sich bunt ge-schmückt und herausgeputzt auf diesem wöchentlichen Ereignis zeigen. Es sind Konso, Hamer und Boume neben amha-rischen Händlern aus dem Norden des Landes. Die Frauen mit Lederschurzen, die mit bunten Perlen reich bestickt sind und mit großen silbernen Armreifen, die den ganzen Oberarm bedecken können. Auf dem Kopf tragen sie häufig eine hal-be verzierte Kalebasse als Sonnen-schutz. Die Männer, etwas eitler, haben kunstvoll gestaltete Frisuren. Eine dünne Lehmhaube ist auf den Kopf geschmiert und Stuck gleich ausgearbeitet, danach farbig bemalt und mit kleinen Straußen-federn geschmückt. Damit diese Kunst-werke nicht zu Schaden kommen, wird der Kopf nachts auf Schlafstützen gelegt. Ihre Beine sind mit weißer oder blauer Farbe bestrichen, dass es wie Strümpfe aussieht. Letztlich darf die Kalaschnikow nicht fehlen, die der Stolz aller Männer hier ist. Man gewöhnt sich an diesen An-blick und schon bald sieht man keine Ge-fahr mehr in diesen Kriegern, die manch-mal nicht eine einzige Patrone besitzen.
Neben Naturprodukten aus Leder und Stroh schleichen sich auch hier schon Plastikramsch und Billiguhren ein. Ge-handelt wird mit Getreide, Salz, vergam-melten Bananen und Zwiebeln, Gewür-zen und Trockenfisch - ein für uns Euro-päer eher spärliches Angebot. Schmiede bieten Hacken und Beile archaischen Aussehens und Frauen frisch gebrannte Tonkrüge an. Es ist ein buntes und quirrliges Durcheinander. Etwas abseits gibt es Hühner, Schafe und Ziegen zu kaufen. Ich wirke wohl ein wenig zu interessiert und schnell schießen sich die Händler auf mich ein. Ich hätte nicht nach dem Preis für eine Ziege fragen dürfen. Da kaum andere Nahrung zu be-schaffen ist, habe ich nach einer Stunde Verhandlung für ca. 10 Euro eine Ziege an der Schnur. Sie wird auf das Auto-dach gebunden, wie es hier Sitte ist und verspricht ein Festessen zu werden.
Schon beim Schlachten finden sich die ersten Zuschauer ein. Ungläubig nimmt man Fell, Kopf und Innereien entgegen und verschwindet schnell mit der Beute im Busch. Gerade als die ersten Stücke auf dem Grill liegen, kommt eine Familie der Bana vorbei, die vom Markt heim-wärts zieht. In gebührendem Anstand setzt man sich nieder und beobachtet die “ferenchi” bei ihrem Tun. Ein alter Mann gesellt sich zu uns und schnell sind wir im Gespräch. Er fragt nach ein wenig Zucker und dann nach einem Hemd und dann und dann...
Wir laden ihn zu einem Stück Fleisch ein. Nach und nach nähern sich die anderen und schon bald sitzt eine 17-köpfige Familie in engem Kreis um unser Feuer. Freizügig beginnt der Alte die Fleischstückchen zu verteilen. Es wird nicht einmal gewartet bis die Teile gar sind. In fast rohem Zustand verschwindet alles in den gierigen Mündern. Als er dann noch an meine Lende will, wird es mir zu dumm und ich haue ihm mit der flachen Machete auf die Finger und bedeute ihm, dass ich der Gastgeber bin. Schallendes Gelächter quittiert meinen Mut und von nun an wird mit Blick zu mir auf jedes Teil gezeigt, bevor man zugreift. Alle werden satt und als die Dämmerung hereinbricht, macht sich die Familie auf den Weg. Die Knochen wandern in einen Ledersack und werden mitgenommen. Nichts ist übrig geblieben!
Durch niedrigen Wald windet sich die Piste in Richtung Dimeka und Schlamm-löcher werden wieder häufiger. Gleich hinter dem Dorf steckt ein Landrover der örtlichen Polizei in einem fast 8 m langen ziemlich tiefen Loch und wir ziehen sie heraus. Da sie aus der Gegenrichtung kamen, fragen wir sie aus und sie geben uns Hoffnung, da es von hier aus wieder trocken sein soll. Wir bitten darum zu warten, bis wir drüben sind. Mit Vollgas geht es hinein und sofort stecken wir fest, alle Räder drehen durch. Man zieht uns zurück und wir übernachten neben der Straße, da die Dunkelheit herein-bricht. Mit dem Spaten schaffen wir noch schnell eine Rinne, damit das Wasser bis zum Morgen abfließen kann.
Ein wenig hat die abendliche Aktion ge-nutzt, doch der Schlamm bleibt tief und weich. Aus dem Dickicht ziehen wir zahl-reiche armdicke Äste und legen sie in kurzen Abständen quer. Alle in der Nähe liegenden Steine füllen die Lücken und über dieses Fundament folgt eine dicke Schicht Reißig, auf die dann unsere Sandbleche kommen. Im nahen Dorf hat sich die Plackerei der “ferenchi” herum-gesprochen und die ersten Zuschauer finden sich ein. Anpacken allerdings tut keiner! Dann ist es nach fast sechs Stunden Arbeit soweit. Ein Test mit drei Leuten gleichzeitig auf der “Brücke” be-findet, dass es schon noch ganz schön schwammig, aber mit Vollgas zu schaf-fen ist.
Ein wenig zurück und Anlauf nehmen. 1. Gang, 2. Gang und Vollgas! Das erste Sandblech greift, aber der Wagen scheint hinten einzusinken. Die hinteren Räder drehen an einem der glitschigen Äste durch! Dann drückt es den Ast in den Schlamm und die vorderen Räder finden auf dem zweiten Blech Halt. Ein Ruck, der Wagen bewegt sich und schon steht er fest auf der anderen Seite. Geschafft! Die Zuschauer hüpfen vor Begeisterung und klatschen in die Hän-de. Ein weiteres Fahrzeug taucht auf und will unsere Brücke nutzen. Sie war nur für einmal gebaut. Mit geeinten Kräften kann es herausgezogen werden.
In der Ebene draußen sehen wir Strauße und Gazellen. Das Gras ist meterhoch und die Piste zu den Mursi verschwun-den. Abgebrochene Rispen und Halme legen sich auf den Kühler und die Tem-peratur steigt gefährlich an. Wir brechen dieses Vorhaben ab und fahren, nach-dem wir ein Dorf der Geleb bei Omorate besucht haben, zurück nach Key Afer. Inzwischen ist das Schlammloch ver-trocknet und wir kommen problemlos über “unsere” Brücke.
Wir steuern Jinka an, um von dort aus die Tellerlippenfrauen zu finden. Doch die Ebene am Omo ist versumpft. Zwei Neuseeländer berichten, dass sie wenige km vor der Stadt fast eine Woche fest-gesteckt waren. Damit scheitert der dritte Versuch die Mursi zu sehen. Wir wenden uns nach Norden in Richtung Beto. Über eine steile ausgewaschene Rampe quä-len wir uns den Berg hinauf. Auf der anderen Seite ist die Piste weggerutscht und es wird zur Millimeterarbeit das Fahrzeug unbeschadet hinunter zu brin-gen. Bis Soddo durchqueren wir die Wei-degebiete der Marle, die uns stets freu-dig empfangen. Wir schlafen in ihren Gärten und am abendlichen Feuer ist gute Stimmung. Bedingt durch die katas-trophale Piste kommen hier so gut wie keine Touristen vorbei. Man ist froh über eine solche Abwechslung.
Wieder auf der Teerstraße geht es schnell nach Norden zum Langanosee, in dem man baden kann. Das braune Wasser ist sehr erzhaltig, was die Bilharziose verhindert. Wieder einmal so richtig gewaschen und gepflegt gönnen wir uns diesen Luxus schon am nächsten Tag in Sodere wieder. Ein richtiges Schwimmbad wird dort von heißen Quel-len gespeist.
In der Nacht zittert die Erde für wenige Sekunden. Wir befinden uns in einer noch aktiven Gegend des Rift Valley. Am Fuße des Vulkanes Fantale weiden Kereyu ihre Herden und die Wildhüter des Awash-Nationalparkes haben mit ihnen so ihre Probleme. Die Hirten treiben die Herden in den Park und die Harar wildern im nördlichen Bereich nahezu ungehindert. Wir baden gerade in den ca. 40° heißen Becken als uns eben diese Harar darauf aufmerksam machen, dass es hier Krokodile gibt. Und tatsächlich schwimmen ca. zwei m lange Exemplare herum, die aber sehr sehr scheu sind. Nur die Augen schauen heraus und erst, wenn sie sich bewegen, sind kleine Wellen auf dem Wasser zu bemerken.
Auf der knüppelharten mit spitzen Stei-nen versehenen Piste nach Dese ereilt uns so mancher Platten. In jeder noch so kleinen Ansiedlung hat sich eine kleine Werkstatt auf dieses Problem speziali-siert und hat natürlich viel zu tun. Beim Spielen stürzt ein Mädchen schwer und wir verarzten es mit einem blendend wei-ßen Pflaster auf der Stirn. Überglücklich präsentiert es seine Zier.
Atemberaubende Berglandschaften be-lohnen aber auch diesen mühevollen Weg. An den Engstellen und an Pässen liegen häufig Panzerwracks aus Zeiten des Befreiungskrieges. Sie sind in den Straßengraben geschoben, von wo aus sie den Vorbeifahrenden mahnen. Durch-gerüttelt und mit gestauchten Bandschei-ben sehnen wir einen Übernachtungs-platz herbei, der an den steilen Hängen nicht zu finden ist. Auf jedem freien Meter sind winzige Felder angelegt. Die Piste fordert Tribut. Zwei Streben des Dachträgers sind gebrochen und müssen geschweißt werden.
Eine neue Straße führt ab Weldiya in Richtung Lalibela. Sie windet sich in engen Kehren einer Felswand hinauf und erreicht an ihrem höchsten Punkt 3320 m NN. Oben angekommen bietet sich ein fantastisches Bild. Wir waren die letzten Meter durch dichte Wolken gefahren. Diese werden am Abbruch vom Wind in Fetzen gerissen und wie flatternde weiße Fahnen in den blauen Himmel geschleu-dert. Vorne reißt es einem schier die Kleider vom Körper und der eiskalte Wind treibt uns in das Auto zurück. Dicht eingemummte Kinder zeigen uns die Ab-zweigung zu den Felskirchen. Die 70 km dorthin fordern wieder einmal alles von den Fahrzeugen. Über Geröll und ausge-waschene Flußbetten brauchen wir fast den ganzen Tag. Ein paar km vor der Stadt wurde gerade ein nagelneuer Flug-platz fertig gestellt, auf dem ein Airbus landen könnte.
Lalibela, was übersetzt Honigesser be-deutet, ist nach dem König benannt, der dort 1181 bis 1221 herrschte und zahl-reiche der weltbekannten Kirchen bauen ließ. Sie sind aus dem Stein gehauen und innen ausgehöhlt. Über 30 Kirchen im Umkreis von ca. 30 km sind in drei Gruppen nach dem Entstehungsalter unterteilt. Es bedarf mehrere Tage, wenn man sie alle sehen wollte, denn die meißten sind nur durch beschwerliche Fußmärsche erreichbar. Für 100 Birr Eintritt hat man Zugang zu allen. Die bekannteste ist die kreuzförmige “Beta Ghiorgis”, die nach St. Georg benannt ist. Englisch sprechende Studenten bieten sich als Führer an und erklären in eindrucksvoller Weise die in Fabeln geschmückte Geschichte und den christlichen Hintergrund der äthiopischen Kirche. Zudem halten sie die lästigen nach Birr kreischenden Kinder fern.
Durch unterirdische Gänge sind einige der Kirchen verbunden und für jede ist ein Priester zuständig. Es geht eine Er-habenheit und Würde von ihnen aus, die ergreifend ist. Zögernd nur werden uralte Schriften und Prozessionskreuze ge-zeigt, hatte man doch in naher Ver-gangenheit schlechte Erfahrungen ge-macht. Der Stab des Hohepriesters, den Lalibela selbst getragen haben soll, wur-de an Touristen verschachert. Obwohl es gelang den Stab zurück zu bekommen, wurde der Verantwortliche aus der Kirche verstoßen und wanderte in das Gefängnis.
Zurück in Weldiya geht es strikt nach Norden bis Mekele. Immer wieder über-queren wir Bergmassive, deren Farben und Schluchten an den Grand Canyon denken lassen. Langsam verschwinden die Bäume und es wird karg. Hier im Gebiet Tigray sind von der Unesco auf weiten Hochebenen endlose Acker-flächen angelegt worden. Von hier kommen auch immer wieder die Bilder von Hungernden in Äthiopien. Bilder, die unverzüglich mit diesem Land, das soviel mehr bietet, in Verbindung gebracht werden. Betroffen ist aber eigentlich nur dieser kleine Teil, dem man aus eigenen Mitteln helfen könnte, wenn man nur wollte. Immerhin war Äthiopien vor dem Krieg die Kornkammer Ostafrikas. Jetzt werden die Felder wieder bestellt und es besteht Hoffnung. Im Gegensatz zu anderen Gegenden des Landes hat Tigray das Problem, dass es hier für Jahre nicht regnen kann und deshalb die Ernten ausbleiben können.
Von Adigrat aus besuchen wir das Klos-ter Debre Damo, das natürlich wieder nur auf gefährlicher Piste zu erreichen ist. Es wurde im Jahre 600 gebaut und liegt auf einem Berg, dessen steile Kanten 20 bis 30 m senkrecht empor ragen. Mittels ei-nes Seiles, das die Mönche herunter las-sen, gelangt man hinauf. So ähnlich hat es auch der erste Priester gemacht, der hier nach vielen Jahren der Wander-schaft rastete.
“Eine Schlange ließ sich seinerzeit vom Plateau herab und an ihr konnte er sich hinaufziehen. Gott hatte ihm damit das Zeichen gegeben, dass dies der geeig-nete Platz für eine Kirche sei”. Es dürfen nur Männer hinauf. Selbst die Ziegen und Schafe dort oben sind männlich. Nur die Vögel sind nicht aufzuhalten. Debre Damos beherbergte einst eine der größ-ten Sammlungen von heiligen Schriften und Überlieferungen. Viele davon ver-schwanden an zahlungskräftige Besu-cher. Heute sind es noch knappe 35 Bü-cher, die in staubigen Holzkisten ver-wahrt sind. Die Pforte des ganz aus Stein gebauten Hauses wird geöffnet und durch winzige Fenster dringen Licht-strahlen ein, die die auf Stoff gemalten Bilder von St. Georg und anderen Heili-gen streifen. Während der Wind die filigranen Vorhänge in der Türe bewegt und Schatten über die geschnitzten Frat-zen auf der Holzdecke springen, hat der Hohepriester eines der letzten Bücher hervorgeholt und aufgeschlagen. Be-dächtig blättert er die brüchigen Seiten durch und zeigt uns die kunstvoll ge-schriebenen Texte und gemalten Bilder. Eine Wanderung über das 200 mal 300 m große Plateau führt an Zisternen vor-bei, die aus dem Fels gehauen sind und in denen das Regenwasser aufgefangen wird. Die meißten Häuser sind verfallen, da es nur noch wenige Priester gibt.
Auf dem “Dach Afrikas” am Abgrund sitzend, den Blick in die weite Ebene schweifend, denke ich an all die wunder-vollen Erlebnisse, an die fantastischen Landschaften von Regenwald, Steppen, Berge und Wüsten, die Äthiopien gebo-ten hat. So unterschiedlich war die Land-schaft, wie in keinem anderen Land die-ses Kontinentes. Gazellen, Antilopen und Strauße streiften umher. So viele Völker gab es zu bestaunen, die mancherorts schon im Computerzeitalter leben und anderenorts unverändert wie vor vielen tausend Jahren in und mit der Natur leben und überleben. Auch wenn es Ge-biete gab, wo es nervte, wenn man auf Schritt und Tritt verfolgt wurde, nicht einmal alleine auf’s Clo konnte, war es doch meißt ein Land voller Gastlichkeit und Freude. “Was wollt Ihr dort?” hatte der kenianische Zöllner gefragt. “Das ist doch kein Land!” hatte er bestimmt gesagt. – und was für ein Land das gewesen ist! Aufgeschreckt durch den Ruf eines Priesters werde ich jäh aus diesen Gedanken gerissen. Die Däm-merung setzt ein und wir müssen das Plateau vor Sonnenuntergang verlassen haben.
Bei Zala Anbesa wechseln wir dann am nächsten Tag auf neuer Asphaltstraße ins benachbarte Eritrea hinüber und be-antragen in Asmera ein Visum für Saudi Arabien. Von Massawa aus soll es mit der Fähre nach Djedda gehen.
- Aber das wäre eine neue Geschichte! -